Heilige Scheiße! Ich wurde von einem buddhistischen Mönch tätowiert!
Tausend Ameisen, die alle gleichzeitig auf mich pinkeln. Und ich bin auf einmal nicht mehr aufgeregt. Ich versuche angestrengt nicht den Mönch anzuschauen. Ich weiß nicht, ob ich das darf. Also schaue ich mich um. Der alte Mann mit den Zahnlücken, der uns heute morgen in Empfang genommen hat, zeigt mit seinem Daumen nach oben und nickt. Ein anderer Mann, von dem ich dachte, er meditiert, fängt an zu schnarchen. Ich höre ein Geräusch, dass entfernt an das Tätowiergeräusch erinnert, das ich kenne. Es ist ein batteriebetriebener Miniventilator, der das Baby in dem Kinderwagen neben mir kühlt. Tut es weh? Irgendwie schon. Aber es fühlt sich anders an. Die tausend Ameisen krabbeln jetzt durch meinen ganzen Körper.
Nach zehn Minuten ist der Schmerz weg, die beiden Männer, die mich festgehalten haben, lassen mich los. Der Mönch fängt an zu flüstern. Ich versuche angestrengt ihm zuzuhören. Verstehe aber kein Wort. Er haucht auf das Tattoo. Dann flüstert er wieder. Noch einmal hauchen, dann ist es vorbei. Mein Sak Yant Tattoo ist fertig und der Mönch hat es gesegnet und ihm seine Magie eingehaucht. Der alte Mann gibt mir zu verstehen, dass ich jetzt aufstehen und gehen muss. Als ich den Raum verlasse, schaue ich mich noch einmal um. Der Mönch sieht mir in die Augen und ich glaube auf seinem Gesicht ist ein Lächeln zu sehen.
Als ich mich am frühen Morgen aus dem Bett quäle, bin ich mir nicht sicher, ob es klappen wird. Ich weiß, dass auch Frauen ein Sak Yant Tattoo bekommen können. Aber der Mönch sucht das Motiv und die Stelle aus. Er sieht dich an und entscheidet dann, was du in deinem Leben brauchst. Schutz vor dem Bösen, Sicherheit in alle Richtungen, Stärke, Gesundheit. Was wird es bei mir sein? Ich will es ganz ihm überlassen, auch die Stelle. Da ist nur ein Problem, auf meinem Rücken, der meistens für die ersten Sak Yants gewählt wird, ist kein Platz mehr.
Mein Rücken ist voll mit allem, an was ich glaube. Gerechtigkeit, dass alles zwei Seiten hat und Gut und Böse irgendwie gleich sind. Alles hat seinen Sinn. Es ist eine lange Geschichte. Ich erzähl sie euch gerne mal in Ruhe. Für jetzt muss es reichen, dass ihr wisst, dass Tattoos nicht einfach nur Schmuck für mich sind. Ich dachte ehrlich gesagt, dass es Jahre dauern wird, bis ich mich wieder tätowieren lassen werde. Meiner Meinung nach muss ein Tattoo dich finden. Und dann hörte ich von Sak Yant. Tattoos, die seit Jahrhunderten von Mönchen tätowiert werden, die den Empfänger schützen sollen. Magische Tattoos. Und ich wusste, das ist es.
Und so halte ich mich an einem Montag morgen an einem Mann fest, der nach altem Schweiß und Zigaretten riecht, während sein Motorrad uns im rasanten Tempo durch die Felder im Hinterland von Bangkok bringt, die Sonne geht glutrot über den Reisfeldern auf, der Fahrtwind bringt mich zum weinen und ich denke nur: Das ist einer dieser perfekten Momente. Die einen noch in Jahren so schwindelig kirre im Kopf machen werden, dass man denkt, das kann nicht mir passiert sein, das muss ich in einem Film gesehen haben. Aber es ist echt.
Nur wenig später sitze ich in einem Raum im „Tempel einiger Mönche“, dem Wat Bang Phra. Die Opfergaben an den Mönch sind Mentholzigaretten, eine Kerze, Räucherstäbchen, eine Orchidee. 50 Baht. Umgerechnet € 1,20. Männer sitzen neben mir und diskutieren wo mein Sak Yant hinpassen könnte. Sie lachen. Sie rollen Toilettenpapier zu kleinen Bündeln. Sie haben das schon oft gemacht. Ich verstehe kein Wort. Kristin und ich sind die einzigen Ausländer. Wahrscheinlich denken sie, wir wollen das Tattoo, weil Angelina Jolie auch so eins hat. Wollen wir nicht. Es geht uns um das Echte. Als der Mönch kommt, der der bekannte Luang Pi Nunn ist, wie wir später erfahren, geht alles ganz schnell, keine Diskussion. Er entscheidet. Er tätowiert er uns beiden das Sak Yant, das auch Angelina Jolie hat. Kristin auf ihren Rücken und mir auf meinen rechten Oberarm. Yant Hah Taew. 5 heilige Linien. Das umfassendste und vielseitigste der Sak Yants. Güte, Erfolg, Glück, Schutz vor dem Bösen und Unglück. Es sind Auszüge aus fünf buddhistischen Gebeten. Ich kann sie nicht lesen. Ich weiß nicht genau, was sie bedeuten und welchen Schutz sie genau beinhalten. Aber es fühlt sich gut an. Und irgendwann werde ich sie übersetzen lassen.
Sak Yant Tattoo Fakten:
Gesundheitsrisiko: Auch wenn Sak Yant allgemein als Bambustattoo bekannt ist, hat unser Mönch keine Bambusstäbe benutzt, sondern einen 50cm langen Metallstab. Desinfiziert wurde er mit einer Flüssigkeit, die Wasser sein könnte, oder Alkohol. Und soweit wir das mitbekommen haben (wir waren die allerersten und haben nicht gesehen, wie die anderen tätowiert wurden) hat er auch immer den gleichen Stab benutzt, zumindest bei Kristin und mir. Ja, es gibt ein Risiko. Aber es gibt keine Informationen über Fälle, die durch ein Sak Yant an HIV oder an anderen Krankheiten, die über Blut übertragen werden, erkrankt sind. Aber ja, es ist ein Risiko. Aber einen Tod stirbt man immer und wenn ich an einem gesegneten Tattoo sterbe, dann finde ich das immer noch besser, als auf der Straße überfahren zu werden. Vielleicht schützt mich das Sak Yant ja auch genau davor.
Kosten: Neben den Fahrtkosten, haben wir 50 Baht für die Gaben und 110 Baht als Geldspenden ausgegeben. Das sind umgerechnet knapp €4.
Hinkommen: Man kann keine Termine ausmachen, daher lohnt es sich so früh wie möglich anzukommen. Wir haben um sechs Uhr morgens einen Minibus für 60 Baht vom Victory Monument in Bangkok nach Nakhon Chai Si genommen. Sagt dem Fahrer dass ihr zum Wat Bang Phra wollt. Er wird euch dann auf der Autobahn irgendwann rausschmeißen, geht über die Fußgängerbrücke. Von da werdet ihr schon die Motorradfahrer winken sehen. Sie wissen wo ihr hinwollt. Pro Motorrad zahlt man circa 100 Baht. Unbedingt machen und kein Taxi nehmen! Wenn ihr am Tempel ankommt wird früher oder später jemand auftauchen, der euch zum richtigen Gebäude führt, wo ihr die Opfergaben kaufen könnt und auf den Mönch wartet. Als wir ankamen, waren wir die ersten und wurden daher auch als erste tätowiert, der Raum war allerdings schon mit circa 15 Leuten voll, als der Mönch ankam. Wenn ihr erst nach acht ankommt heißt es: Warten bis man an der Reihe ist. Und wenn ihr Pech habt kommt ihr an dem Tag gar nicht mehr dran. Mehr Infos findet ihr auch bei Where Sidewalks End.
Tut es weh? Ja, allerdings fand ich, dass es im Vergleich zu meinen anderen Tattoos weniger weh tat. Das kann an der Art und Weise liegen, aber es kann auch sein, dass mein Oberarm einfach weniger empfindlich ist, als Teile meines Rückens.
Würde ich es wieder tun? JA, ja und nochmals ja. Vor allem, weil ich leider erst im Nachhinein erfahren habe, dass mit jedem Sak Yant auch gewisse Regeln einhergehen, die man einhalten muss. Ich kenne meine Regel nicht. Keiner hat mir das gesagt. Keiner dort hat auch nur ein Wort englisch gesprochen. Doch ich will es wissen. Bis dahin hab ich mir meine eigene Regel auferlegt. Und die beinhaltet Wahrheit immer und überall. Heilige Scheiße!