Reise in der Antarktis und sonst ist da nur Stille
Hätte mir vor ein paar Monaten jemand gesagt, dass ich mich Anfang Dezember Reise in der Antarktis befinden werde, dann hätte ich denjenigen sicherlich für verrückt erklärt. Zu utopisch war dieser Gedanke und zu weit weg das Ziel. Nicht, dass ich nicht schon immer mal davon geträumt hätte. Aber damals schien es mir einfach unerreichbar. Und jetzt, knapp 4 Wochen danach, sitze ich zuhause und erzähle euch von einer Reise in eine Gegend, die man eigentlich mit Worten und Bildern nur schwer beschreiben kann.
Wenn man vor lauter Glück und einer Schiffsladung voller positiver Emotionen platzen könnte. Wenn das Gefühlskarussell Achterbahn fährt und die Realität nicht mehr nur aus Rot/Gelb/Blau, sondern auch aus Türkis, Dunkelblau, Hellblau, Cyan, Himmelblau, Mitternachtsblau, Königsblau und Aquamarin besteht. Wenn es scheint, als würde man vor einer Fototapete sitzen und man das Gefühl hat, jeden Moment Truman-Like gegen eine Kuppel zu fahren, um kurz darauf eine Treppe in die wirkliche Welt zu finden. Wenn Natur sich anfühlt, als wäre man in ihrem Angesicht klein und unbedeutend und man paradoxerweise doch in keinem Moment woanders sein möchte. Dann befindet man sich auf einer Reise in der Antarktis, einer Reise durch eine Gegend, die absolut lebensfeindlich und gleichzeitig zu schön ist, um real zu sein.
Ein Seelen Reise in der Antarktis.
Ich befinde mich auf einer dieser Reise in der Antarktis, bei der mir mal wieder klar wird, wo ich eigentlich hingehöre: Nach draußen, in die Natur. Unfassbar, sprachlosmachend und mit einem Glücksgefühl verbunden, das keine Metropole, keine Begegnung, kein Hotel mit Swimmingpool und nur eine einzige Person in meinem Leben in mir hervorruft. Nicht nur einmal kullern Freudentränen über meine Wangen und glitzern in der Sonne mit dem Eis um die Wette.
Ich weiß noch, es war vor meiner ersten Langzeitreise vor einigen Jahren, als mir eine Freundin über ihren Trip durch Australien erzählt hatte. Über die Spinnen und Schlangen und die anderen gefährlichen Tiere, die einem unterwegs so begegnen können. Was denn dann überhaupt so toll an ihrem Trip war, wollte ich wissen. Die Landschaft, meinte sie. Ich konnte sie nur belächeln und habe es für eine Art Spinnerei abgetan. Was kann denn schließlich daran schon so toll sein.
Wie hatte ich mich damals nur geirrt! Ja, es ist wirklich die Landschaft, die mich auf meinen Reisen jedes mal wieder auf’s Neue fasziniert und in ihren Bann zieht. Und dabei meine ich nicht perfekt anmutende Strände mit wiegenden Palmen, sondern die rauen und unberührten Gegenden unserer Erde. Das australische Outback. Die Weiten im Norden Norwegens. Die verhangenen Gebirgsketten in Montenegro. Die Abgeschiedenheit im südlichen Patagonien. Die Antarktis.
Ich stehe oft an der Reling des Expeditionsschiffes und beobachte, was für ein Wunder der Natur sich um mich herum befindet. Riesige Eisberge treiben neben uns auf dem Wasser und das in einer Größe, die jeglichen physikalischen Gesetzen von Auftrieb und Untergang zu widersprechen scheint. Pinguine watscheln tollpatschig über Eisschollen, nur um dann elegant ins Wasser zu gleiten. Ein Buckelwal lässt spielerisch seine Fluke auf die Wasseroberfläche klatschen, bevor er seitlich abdreht und uns noch mehrere Minuten begleitet. Das alles zusammen, innerhalb von nur wenigen Stunden, bedeutet eigentlich einen klassischen Overkill für meine Gefühlswelt.
Nach einigen Tagen auf der MS Midnatsol und dem Beobachten aus der Ferne mache ich meine ersten Schritte auf antarktischem Festland, jenseits des 60. Breitengrades. Ein unwirklicher Moment, den ich erst nach mehreren Tagen so richtig begreifen kann. Der frische Schnee knirscht unter den klobigen Gummistiefeln, perfekt geformte Eiskristalle fallen lautlos vom Himmel und die Pinguine gehen wild schnatternd ihrer täglichen Routine nach. Und sonst ist da nur Stille.
Einige Hintergründe und Fakten in die Reise in der Antarktis
So verklärt romantisch mein Blick auf die Eisberge auch ist, eins darf man nicht vergessen: Wir befinden uns in einer der lebensfeindlichsten Gegenden unserer Erde. Die Antarktis ist der kälteste, trockenste, windigste und höchste Kontinent und sicherlich auch der am wenigsten erforschte. Ein Leben, wie wir es kennen, ist hier nicht möglich. Es gibt keinen klassischen Alltag, im antarktischen Winter geht hier die Sonne nicht auf, dafür im Sommer nicht unter.
Der Kontinent gehört niemandem, einen Geldautomaten sucht man hier vergebens und Einwohner gibt es auch keine. Einzig die Mitarbeiter wissenschaftlicher Forschungsstationen stellen die temporäre Bevölkerung der Antarktis dar. Und das auf einer Fläche größer als Europa.
Wild wie kein anderes Land unserer Erde liegt es da, ungesehen und unbetreten. (Roald Amundsen, 1911)
Falls ihr euch jetzt fragt, wie es denn sein kann, dass in der heutigen Zeit noch Gegenden unserer Welt ohne Herrscher, Premierminister oder Kanzler auskommen und es keinerlei Kriege um Besitzansprüche gibt, dann findet ihr alle Infos dazu im Antarktisvertrag von 1959. Dort ist geregelt, dass die Antarktis „ausschließlich der friedlichen Nutzung, besonders der wissenschaftlichen Forschung, vorbehalten bleibt“. Und im Zusatz von 1991, dem Umweltschutzprotokoll, ist der Schutz der empfindlichen Ökosysteme und das Verbot für den Rohstoffabbau geregelt. Und solange die Ausbeutung der Ressourcen unserer Erde noch vonstatten geht, können wir nur hoffen, dass diese Regelwerke noch lange bestehen bleiben.
Da wir gerade bei Regelwerken und Verträgen sind, möchte ich noch kurz ein Kürzel in den Raum werfen: IAATO. Die International Association of Antarctica Tour Operators regelt auf Grundlage des Antarktisvertrages den Tourismus in der Antarktis. Ein wirklich spannendes Thema und ein weiterer wichtiger Punkt zum Schutz der Ökosysteme vor Ort. Dazu verrate ich euch in einem späteren Artikel mehr.
Von Triumphen, heroischen Taten und unfassbaren Tragödien in der Antarktis.
Geschichtlich gesehen ist die Antarktis ein Kontinent voller Triumphe, heroischer Taten und auch unfassbarer Tragödien. Kennen wir doch alle die Geschichte vom Wettlauf zum Südpol, die vor über 100 Jahren mit einem Triumph des Norwegers Roald Amundsen und dem Tod des Briten Robert Falcon Scott endete. Scott erreichte am 17. Januar 1912 den Südpol, nur um festzustellen, dass sein Kontrahent Amundsen bereits einen Monat vor ihm das Ziel erreicht hatte. Der Rückweg wurde sein Verhängnis, zusammen mit seinen Begleitern starb er schlecht ausgestattet nur rund 18km vom Depot seines Basislagers entfernt im ewigen Eis.
Während ich die Zeilen in meinen Rechner tippe, erinnere ich mich wieder an einen Song, den ich damals in meiner Kindheit gehört habe. Ein Lied über den Kampf um den Südpol, ein Lied über Triumph, Kälte und Verzweiflung:
Und noch ein anderer Name geistert in unseren Geschichtsbüchern umher, wenngleich auch weniger bekannt: Ernest Shackleton. Eigentlich ist es eine Geschichte vom Scheitern, die ihn so bekannt gemacht hatte. Geplant war vor 100 Jahren die komplette Durchquerung des antarktischen Kontinents, doch das Schiff sank auf der Hinfahrt, eingeschlossen und zerdrückt vom Packeis. Es folgte eine spektakuläre Rettungsaktion, bei dem er den Großteil seiner Mannschaft vorerst zurückließ und mit Rettungsbooten erst Elephant Island erreichte und von dort weiter mit einer noch kleineren Truppe bis nach Südgeorgien segelte (knapp 1500km). Er überquerte die Insel zu Fuß, gelangte zu einer Walfangstation und daraufhin konnte seine komplette Mannschaft gerettet werden. Nach insgesamt 635 Tagen im Eis.
Von Expeditionen und anderen Gedankengängen.
Meine Gedanken kreisen um die Taten der Männer vor über einem Jahrhundert. Ich bin absolut fasziniert von ihren Geschichten und ihrem Willen, sich auf solche abenteuerliche Reise in der Antarktis zu begeben. Wir besitzen mittlerweile GPS und Satellitentelefone, digitale Wetterkarten und Funktionsunterwäsche. Unvergleichbar mit der damaligen Ausstattung. Vergleichbar und die einzige (In)Konstante, damals wie heute, ist nur das Wetter.
Eigentlich ist es vermessen zu sagen, dass meine Gedanken langsam in Richtung solcher Expeditionen abdriften. Befinde ich mich doch gerade auf dem Deck eines stabilen Expeditionsschiffes, mit Fußbodenheizung im Bad, Sauna, 5-Gänge-Menü und kleinem Bordshop.
Ich dachte immer, ich könnte Gefühle und Emotionen gut beschreiben. Glück, Zufriedenheit, Traurigkeit, Wut, Fernweh. Aber die Antarktis hat mir gezeigt, dass ich meine Gefühle nicht so einfach in Worte fassen kann. Nicht einmal annähernd, auch wenn ich es hier mit dem Beitrag so gut es geht versucht habe. Denn in Wahrheit war alles noch intensiver, noch surrealer und pittoresker.
Und manchmal denke ich, wenn nur jeder Mensch einmal einen Blick auf diese unglaubliche Landschaft werfen könnte, dann würde Frieden auf der Welt herrschen. Denn hier merkt man, dass um uns herum noch etwas viel Größeres und Bedeutenderes als die Menschheit existiert – Mutter Natur. Sicherlich ist das etwas hochgegriffen und utopisch. Aber lasst mich doch ein bisschen träumen.
Ihr möchtet noch mehr über die Antarktis lesen? Dann habe ich hier ein paar Artikelempfehlungen für euch:
• Elke vom Meerblog nimmt uns mit nach Cuverville Island, zu meiner liebsten und leider auch letzten Anlandung in der Antarktis.
• Susi von Black Dots White Spots cruist mit uns über glasklares Wasser. Es ist ein wirklich unfassbares Gefühl, den Eisschollen so nah zu kommen.
• Madlen von puriy nimmt uns mit auf den ersten Landgang auf antarktischem Festland in Brown Bluff.
• Melanie von Good Morning World erzählt von der Anlandung auf Deception Island, wo wir uns in der Caldera eines Vulkans befinden, wandern waren und sogar einen Sprung ins kühle Nass gewagt haben.
Und weitere Berichte meinerseits folgen in Kürze Reise in der Antarktis.
Ich war auf der MS Midnatsol unterwegs in der Antarktis, auf Einladung von Hurtigruten. Vielen Dank dafür! Alle Ansichten und Meinungen sind und bleiben meine eigenen.