Die Sache mit den Orang Utans – Und warum Borneo nicht Borneo ist
Er bleibt stehen. Und ich donnere fast in ihn hinein. Er steht. Und schaut. Ich stehe. Und schaue. Dann geht er weiter. Er horcht, ich horche. Dann bleibt der Ranger wieder stehen. Dieses Mal bin ich gewappnet und passe auf. Dann gehen wir weiter. Über Stock und Stein. Und manchmal auch über Hängebrücken, die jedem Indiana Jones Film gerecht werden würden.
Manchmal halte ich den Atem an, wenn er stehen bleibt, als ob ich dadurch besser hören könnte. Kann ich nicht. Er hört auch nichts. Und sieht nichts. Kein Orang Utan weit und breit. Sein Gesicht ist ernst. Die Lage auch. Also in meinem Kopf.
Was, wenn wir tatsächlich keine Orang Utans in Borneo zu sehen bekommen?
Suchbild mit Christoph von vonunterwegs.com
Wir sind im tiefsten Dschungel von Borneo. Dort, wo sich Warane und Makaken Gute Nacht sagen. Aber eigentlich, eigentlich sind wir gar nicht auf Borneo. Denn Borneo, so sagen die Einheimischen, das ist nur die Malaysische Seite der Insel. Hier, auf der indonesischen Seite, sind wir in Kalimantan, genauer gesagt in Ost Kalimantan.
Wo die Chance von einem Orang Utan geknutscht zu werden größer ist, als einen Touristen zu treffen.
Kalimantan, das sind eigentlich die indonesischen Provinzen West-, Süd-, Ost-, Nord- und Zentralkalimantan. Zusammen nehmen die indonesischen Provinzen circa zwei Drittel der Insel Borneo ein, die mal eben doppelt so groß wie Deutschland ist.
Kalimantan, das ist das Borneo, das eigentlich keiner kennt. In den ersten fünf Tagen, während wir durch den Dschungel gewandert sind, über staubige Pisten gebrettert, auf einheimischen Märkten eingekauft und Babys geküsst haben, haben wir sechs Touristen gesehen. SECHS. Auf über 800 Kilometern. War das herrlich. Wir sind gereist, so wie ich mir das immer wünsche. Ganz nah an den Menschen dran. Ohne westliches Essen, ohne westliche Toiletten, ohne westliche Duschen und manchmal, wie im Kutai Nationalpark, haben wir auch geschlafen wie die Einheimischen. Schlicht und einfach. War das herrlich. Kalimantan, das andere Borneo, ist vielleicht noch eines der allerletzten Abenteuer. Reisen dort ist oft beschwerlich und dauert. Aber ist es nicht das, was das eigentliche Reisen so reizvoll macht?
Die Orang Utans gibt es auf beiden Seiten. Auf der Malaysischen und auf der indonesischen. Der Kutai Nationalpark ist einer von zwei Orten in Kalimantan, wo man Ihnen am nächsten kommt. Auf 2000 km² leben hier circa 60 Orang Utans. Um die Forschungsstation Prevab herum sind es 25 Stück. Und drei davon kenne ich jetzt persönlich. Quentin, ein Orang Utan Männchen, saß irgendwann einfach nachmittags auf dem Baum neben unserer Terrasse. Während der ganzen Zeit, in der wir ihn beobachtet haben, hat er sich kaum einen Millimeter bewegt. Völlig ungerührt saß er da, glotzte in die Weite und war von uns nicht im mindesten beeindruckt. Ich stand da, mit offenen Mund, und wollte ihn einfach nur in die Backen kneifen, so toll fand ich ihn. (Ging natürlich nicht). In der Nacht, auf einer einfachen Matratze, unter einem löchrigen Moskitonetz, schlief ich so gut wie schon lange nicht mehr.
Und ganz früh am nächsten Morgen, als sich der Dschungel noch gemütlich in die Nebeldecke eingemümmelt hatte, gingen wir wieder los. Immer tiefer in den Dschungel hinein.
Der Ranger voraus, wir hinterher. Und irgendwann blieb er wieder stehen. Schaute nach oben und zeigte auf einmal mit dem Finger tief tief in die Baumwipfel. Dort war sie. Labu (auf deutsch: Kürbis) und ihr Baby. Von so weit unten kaum zu erahnen. Wären Orang Utans nicht orange sondern grün, man hätte sie nicht gesehen. Und während der Nacken langsam vom angestrengten nach oben blicken immer mehr weh tat, kam Labu irgendwann ganz langsam weiter nach unten. Und irgendwann saß sie gerade mal zwei Meter entfernt von uns. Aß genüßlich ihre Blätter, zeigte sich uns von all ihren Seiten und tat so als ob nichts wäre. Das Baby schaute manchmal ein bißchen irritiert, vielleicht waren wir die ersten Touristen, die es sah. Und so nach zehn, fünfzehn Minuten, nachdem wir alle unsere Aufnahmen im Kasten hatten, schaute Labu uns noch einmal non-chalant an, schnappte sich den nächsten Ast und schwang sich davon.
Diese wenigen Minuten, in denen sie uns gewährte ihr ganz nah zu kommen, waren so unglaublich, so atemberaubend, dass mir dicke, fette Krokodilstränen die Wangen hinunterliefen.
Vielleicht war es aber auch nur der Schweiß, der von meinem Augenlid auf meine Nase tropfte. In Kalimantan, im Dschungel ist es doch recht heiß.
Hinweis: Diese Reise wurde mir ermöglicht vom Reisecenter Federsee.